Was ist das?
Die Gallengangsatresie wird auch als Biliäre Atresie (BA) bezeichnet. Diese seltene und lebensgefährliche Gallenwegserkrankung tritt ausschließlich bei Neugeborenen auf. Charakteristisch ist ein Verschluss der Gallenwege. Dieser führt zu einem Stau von toxischer Galle („Cholestase“), in der Folge zur Schädigung der Leber und unbehandelt zu einer Leberzirrhose. Erste Beschreibungen schwer erkrankter Neugeborener, die wahrscheinlich an dieser Krankheit litten, kennt man bereits aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Die Ursachen der Gallengangsatresie sind jedoch bis zum heutigen Tag weitestgehend ungeklärt. Diskutiert werden genetische oder autoimmune/entzündliche Faktoren beim Patienten, Umweltfaktoren oder Infektionserreger von außen, die in der Entstehung der Erkrankung zusammenspielen. Histopathologisch sieht man meist eine Entzündung und Vernarbung der gesamten Gallenwege innerhalb und außerhalb der Leber. Unbehandelt verläuft die Erkrankung immer tödlich und die Kinder werden nicht älter als zwei bis drei Jahre. Eine Kasai-Operation (Portoenterostomie nach Kasai) kann zunächst Zeit gewinnen und in einigen Fällen auch die fortschreitende Erkrankung stoppen. Oft ist eine Lebertransplantation erforderlich und lebensrettend.
Symptome
Betroffene Kinder kommen meist ohne erkennbare Symptome und mit intakten Gallengängen zur Welt. Ultraschalluntersuchungen vor der Geburt lassen in den meisten Fällen noch keine Auffälligkeiten erkennen. Erstmals auffällig wird die Erkrankung meist in den ersten ein bis sechs Wochen nach der Geburt. Symptome sind ein Gallestau mit Gelbsucht (Ikterus), fehlende Absonderung von Gallesaft in den Darm (Acholie; hellem/weißlichem Stuhlgang), Juckreiz, dunkelgelber Urin und eine teils vergrößerte Leber. Durch den fehlenden Gallesaft im Darm ist die Aufnahme von Fetten und der fettlöslichen Vitamine A, D, E und K gestört, wodurch es häufig zu einer Gedeihstörung und einem Vitaminmangel kommt. Ein Vitamin-K-Mangel kann hierbei zu Blutungen führen (z.B. Hirnblutungen). In ca. 10% der Fälle liegt eine Gallengangatresie mit weiteren Fehlbildungen vor (z.B. Fehlbildung der Milz, des Herzens). Diese Erkrankungsform ist von der klassischen Variante, die nur die Leber betrifft, zu unterscheiden.
Diagnose
Die Kombination aus Gelbsucht und (meist) hellem Stuhlgang bei über 14 Tage alten Säuglingen ist unbedingt durch den Kinderarzt zu erkennen. Dies muss zwingend zur Bestimmung des konjugierten Bilirubins im Blut führen. Ein Säugling mit erhöhtem konjugiertem Bilirubin muss in einem pädiatrischen Leberzentrum vorgestellt werden. In der Blutuntersuchung sind neben dem konjugierten Bilirubin in vielen Fällen auch die Leberwerte Gamma-GT, GOT und GPT erhöht. Im Blut sind die fettlöslichen Vitamine oft erniedrigt, sodass diese oral substituiert werden sollten. Da diese Laborwerte auch im Rahmen anderer Lebererkrankungen auffällig sein können, sind weitere Untersuchungen erforderlich, um eine Gallengangsatresie zu diagnostizieren. Wie bei vielen seltenen Lebererkrankungen ist die Diagnose wie ein Puzzlespiel: Je mehr Teile zusammenpassen, desto klarer ist die Diagnose. Ein zügiges Vorgehen ist hierbei sehr wichtig, da der Krankheitsverlauf bei früher Diagnose und früher Kasai-Operation oft deutlich besser ist. Zunächst wird ein Ultraschall durchgeführt, der den Verdacht auf eine Gallengangsatresie weiter unterstützen kann. Weitere Untersuchungsmöglichkeiten umfassen eine Leberbiopsie mit Untersuchung des Gewebes oder eine Darstellung der Gallenwege mit Kontrastmittel, eine sogenannte ERCP. Eine ERCP kann allerdings bei Säuglingen technisch sehr herausfordernd sein. Da bei Gallengangsatresie Eile geboten ist, wird bei hochgradigem Verdacht bereits eine Operation durchgeführt. Die OP wird mit einer Untersuchung der Gallenwege kombiniert (intraoperative Darstellung der Gallenwege) und dadurch die Diagnose bestätigt. Beim gleichen Eingriff kann bei Bestätigung des Verdachts dann die Kasai-Operation erfolgen. Neben der zeitkritischen Situation ist ein wichtiger Aspekt der Diagnostik, mögliche Differentialdiagnosen auszuschließen. Andere Ursachen eines Gallestaus bei Neugeborenen sind unter anderem: Infektionen, ein Alagille-Syndrom, Alpha-1-Antitrypsinmangel, progressive familiäre intrahepatische Cholestase (PFIC) oder Hormonmangel, z.B. bei einer Störung der Schilddrüsenfunktion.
Therapie
Neben der heimatnahen, kinderärztlichen Betreuung ist eine Behandlung der Kinder an spezialisierten Leberzentren äußerst wichtig. Nur an solchen Zentren liegen breite Erfahrungen in Diagnose und Therapie dieser seltenen Erkrankungen vor, die den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflussen können.
Derzeit basiert die Behandlung der Erkrankung auf chirurgischen Eingriffen: Die Kasai-Operation kann die Regeneration der Leber unterstützen und zumindest in vielen Fällen in den ersten Lebensjahren ein Fortschreiten der Erkrankung verhindern. Trotzdem ist in Fällen mit schweren Leberveränderungen im Verlauf eine Lebertransplantation erforderlich.
Eine zielgerichtete medikamentöse Therapie der Gallengangsatresie gibt es (noch) nicht. Die meisten Kinder erhalten Ursodesoxycholsäure (UDCA), um den Gallefluss zu steigern. Die genaue Wirkung dieser Off-label Behandlung ist jedoch unklar. Neue Medikamente werden derzeit in Studien erprobt, um herausfinden, ob sie bei der Gallengangsatresie zu einer Entlastung des Leberstoffwechsels führen und die Regeneration des Organs fördern können.
Die Kasai-Operation ist nach dem japanischen Kinderchirurgen Morio Kasai benannt, welcher diese Methode Ende der 1950er-Jahre entwickelte. Der Eingriff sollte schnellstmöglich nach Diagnosestellung durchgeführt werden, da eine Operation in den ersten 45 bis 60 Lebenstagen am meisten Erfolg verspricht. Findet die Kasai-Operation später statt, wird oft eine Lebertransplantation früher nötig. Bei der Kasai-Operation werden die äußeren, vernarbten (verschlossenen) Gallengänge an der Leberpforte entfernt. Eine Dünndarmschlinge wird entnommen und der verkürzte Dünndarm wieder zusammengenäht. Die Gallengänge werden dann direkt mit dieser ausgeschalteten Dünndarmschlinge verbunden. Dies dient fortan als künstlicher Weg, um die Galle in den Darm abzuleiten. Das Ziel des Eingriffs ist, den Gallestau zu beheben. Dies ist jedoch bei fortgeschrittener Erkrankung nicht immer möglich, weil dann die Gallenwege auch innerhalb der Leber bereits vernarbt sind. Sonstige Komplikationen des Eingriffs sind insbesondere Infektionen: Bakterien können aus dem Darm über die ausgeleitete Darmschlinge aufsteigen und die Leber infizieren. Dies führt zu einer Entzündung der Gallengänge (Cholangitis).
Der Eingriff kann oft ein Fortschreiten der Erkrankung verhindern oder hinauszögern. Wenn die Erkrankung schleichend fortschreitet und sich eine Leberzirrhose mit deren Komplikationen entwickelt, wird aber letztendlich doch eine Lebertransplantation notwendig. Insgesamt benötigen 60-80 % der Patienten in den ersten zwei Lebensdekaden eine Lebertransplantation. Bei nahezu der Hälfte der Kinder ist die Transplantation bereits innerhalb der ersten zwei Lebensjahre notwendig.
Neben den chirurgischen Eingriffen sind weitere begleitende medizinische Maßnahmen wichtig. Ein Vitaminmangel muss durch eine passende Vitaminsubstitution ausgeglichen werden. Antibiotika können zur Vorbeugung und Behandlung von Cholangitiden verwendet werden. Bei starkem Juckreiz werden juckreizhemmende Medikamente eingesetzt. Mütter können und sollten ihre Kinder im normalen Rahmen weiter stillen. Wenn später eine altersgemäße Ernährung vertragen wird, sollte diese fortgesetzt werden. Wenn die Fettverdauung gestört ist, sollte die Nahrung durch MCT-Fette angereichert werden. Bei schwerer Mangelernährung kann zeitweilig eine Sondennahrung notwendig sein.
Wie häufig ist die Gallengangsatresie?
Die Gallengangsatresie ist zwar eine seltene Erkrankung, aber die häufigste Ursache für eine Lebertransplantation im Kindes- und Jugendalter. Pro Jahr werden in Europa etwa 270 Fälle diagnostiziert, wobei es vermutlich eine große Dunkelziffer gibt. Die Gallengangsatresie betrifft in Europa und den USA schätzungsweise eins von 15.000 bis 19.000 Kindern (Quelle: Orphanet, 2020).
Zukunft der Gallengangsatresie
Mehr Forschung ist notwendig, um die Gallengangsatresie besser zu verstehen und zu therapieren. Die Diagnose wird oft erst spät gestellt und nur etwa die Hälfte der betroffenen Kinder in Europa wird in spezialisierten Zentren behandelt. Medikamentöse Ansätze werden in frühen Studien erforscht, deren Ergebnisse stehen jedoch aus. Das europäische Referenznetzwerk für seltene Lebererkrankungen (ERN RARE LIVER) hat eine eigene Arbeitsgruppe zum Thema Gallengangsatresie gegründet und baut aktuell ein Register für Kinder mit dieser Erkrankung auf. Dies kann ein wichtiger Schritt sein, die Gallengangsatresie in Zukunft besser zu verstehen, effektiver zu behandeln und für die jungen Patienten eine möglichst ungestörte Entwicklung in den ersten Lebensdekaden zu ermöglichen.
Weitere Informationen
Informationen zur Gallengangsatresie finden Sie auch bei unserem Partnerverein Leberkrankes Kind: https://leberkrankes-kind.de/lebererkrankungen/gallengangsatresie/
Die Webseite des europäischen Referenznetzwerks ERN RARE LIVER erreichen Sie hier: https://rare-liver.eu/. Die Webseite ist englischsprachig. Da das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf die europäische Zentrale im ERN-RARE LIVER ist, können Sie diese aber auch auf Deutsch kontaktieren.
Das EBAR-Register (EBAR – European Biliary Atresia Registry of the ERN RARE LIVER) ist über die Email biliaryatresia.registry [at] med.uni-tuebingen.de zu erreichen.
Köln | 05/2022 | Redaktion Leberhilfe
Beratung: PD Dr. Dr. med. Ekkehard Sturm, Dr. med. Dr. rer. nat. Christoph Slavetinsky