Primär biliäre Zirrhose wird umbenannt
Die Primär biliäre Zirrhose wird künftig in „Primär biliäre Cholangitis“ umbenannt, da der alte Name von Patienten als irreführend und stigmatisierend erlebt wird. Die bekannte Abkürzung PBC bleibt dabei erhalten.
Diese Entscheidung fällte kürzlich das Governing Board des Hepatologenverbandes European Association for the Study of the Liver (EASL). Damit unterstützt EASL eine internationale Initiative, welche die Deutsche Leberhilfe e.V. im April 2014 gemeinsam mit der PBC Foundation UK und mit Unterstützung zahlreicher anderer Patientenorganisationen gestartet hatte. „Die PBC wird gerade umbenannt“, erklärte Prof. Ulrich Beuers während einer Rede auf dem amerikanischen AASLD-Liver Meeting in Boston. In naher Zukunft sollen entsprechend offizielle Anschreiben von der EASL an ihre europäischen Mitglieder – auch in Deutschland – versendet werden. Auch eine Veröffentlichung im EASL-eigenen Journal of Hepatology ist wahrscheinlich.
PBC ist eine seltene Gallenwegsentzündung, die vom eigenen Immunsystem ausgelöst wird. Neun von zehn Betroffenen sind Frauen. Meist wird PBC im Alter von 35 bis 60 Jahren erstmals diagnostiziert. Im Kindes- und Teenageralter scheint die Erkrankung praktisch nicht zu existieren.
Der bisherige Name „Primär biliäre Zirrhose“ führt in die Irre, denn eine Zirrhose entsteht, wenn überhaupt, erst im Endstadium der Erkrankung. Die wenigsten PBC-Patienten haben heute bei der Erstdiagnose eine Zirrhose, werden aber durch den Namen in Angst und Schrecken versetzt.
Eine kleine Studie aus Hamburg führte eine psychologisch unterstützte Befragung von zwölf PBC-Patienten durch, wie sie ihre Erstdiagnose erlebt hatten. Auch hier stellte sich heraus, dass viele Patienten den Zirrhose-Namen geradezu traumatisierend erlebten. Die häufigste Gedankenverbindung bei Zirrhose war „Endstadium“ und „Zusammenbruch der Leber“. Ein Zitat spiegelt wider, was viele PBC-Patienten bei der Erstdiagnose erleben: „Zuerst konnte ich mir die Wörter primär und biliär nicht merken. Das einzige Wort, das ich hörte, war ‚Zirrhose‘ und ja, dieses Wort klang für mich wie ein Todesurteil.“
Wie wir und unsere Partnerverbände immer wieder von PBC-Patienten hören, kommt noch ein weiteres Problem hinzu: die Stigmatisierung, die mit dem Wort „Zirrhose“ einhergeht. Wenn PBC-Patienten versuchen, Außenstehenden ihre Erkrankung zu erklären, wird ihnen allein aufgrund des Zirrhose-Wortes oft ein Alkoholproblem unterstellt. Alkohol spielt jedoch für die Entstehung einer PBC erwiesenermaßen keine Rolle.
Der Name „Primär biliäre Zirrhose“ wurde im Jahr 1950 geprägt, als PBC praktisch immer erst im Spätstadium der Erkrankung entdeckt wurde. Schon 1965 kritisierten Ärzte, dass der Name eine „Fehlbezeichnung“ sei. Doch man konnte sich nie auf einen neuen Namen einigen. Dies lag nicht daran, dass es nicht genug Ideen gegeben hätte – im Gegenteil. Es gab eher zu viele Ideen und keine Einigkeit. Und: Die Abkürzung PBC hat sich in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker eingeprägt. Immer wieder scheiterten Anläufe, die Erkrankung umzubenennen, sodass man stets resigniert zur alten Bezeichnung zurückkehrte. „Der Name scheint uns ewig ins Gedächtnis eingebrannt zu sein“, erklärte Prof. Jenny Heathcote im Jahr 2003. Für lange Zeit sollte sie Recht behalten.
Nach Jahrzehnten vergeblicher Diskussionen hat man sich nun auf einen Minimalkonsens geeinigt: Nur das Zirrhose-Wort soll gegen ein anderes Wort getauscht werden, das mit C beginnt. Als Alternativen hatten wir auf einem Treffen in London im April „Primär biliäre Cholestase“ oder „Primär biliäre Cholangitis“ vorgeschlagen, damit die gängige Abkürzung PBC erhalten bleibt. Beide Ideen sind nicht neu. Doch zufällig stießen diese auf offene Ohren bei dem französischen PBC-Spezialisten Prof. Raoul Poupon: Diesem gefiel der Gedanke der subtilen Namensänderung. Aus einer beiläufigen Unterhaltung während des Londoner EASL-Kongresses wurde plötzlich eine ernst zu nehmende Initiative. Dank Prof. Poupon erhielten wir die Gelegenheit, im Mai auf der monothematischen PBC-Konferenz der EASL zu sprechen und die Initiative vorzutragen.
Im Monat vor der Konferenz hatte die PBC Foundation UK eine Onlineumfrage zur Namensänderung gestartet. Innerhalb weniger Wochen nahmen über 1.000 Patienten, Patientenvertreter und Ärzte an dieser Umfrage teil. Das Ergebnis war eindeutig: Sowohl Patienten als auch Ärzte wünschten sich zu 80% eine Namensänderung und gaben an, eine Umbenennung in Primär biliäre Cholangitis/Cholestase zu unterstützen. Die Ergebnisse wurden im Mai 2014 auf der PBC-Konferenz in Mailand vorgestellt.
Die Initiative wurde auf der PBC-Konferenz von den anwesenden Ärzten begrüßt und erste formale Schritte eingeleitet. Dabei sagte man uns zu, die gängige Abkürzung PBC zu erhalten.
Seitdem ist Folgendes geschehen:
Die EASL-Expertengruppe für cholestatische Lebererkrankungen diskutierte zunächst intern, welchen neuen Namen sie bevorzugte. Primär biliäre Cholangitis war damals schon der Favorit. Erste Sondierungsgespräche wurden auch mit den amerikanischen und asiatischen Hepatologenverbänden AASLD und APASL geführt.
Die EASL-Expertengruppe entschied sich klar für die Primär biliäre Cholangitis. Weitere externe Experten wurden zu Rate gezogen, und obwohl es hier einzelne Gegenstimmen gab, sprach man sich auch hier mit überwältigender Mehrheit für den gleichen Namen aus. Perfekt ist der neue Name aus streng wissenschaftlicher Sicht zwar auch nicht, weil dieser eine Doppelung enthält (Tautologie): Cholangitis steht für Gallenwegsentzündung, biliär steht für Gallenwege; frei übersetzt steht der neue Name also für eine „Gallenwegsentzündung der Gallenwege“. Dennoch wurde Primär biliäre Cholangitis als eleganteste und exakteste Lösung akzeptiert, da dieser Begriff ohne das angstbesetzte Zirrhose-Wort auskommt und gleichzeitig die populäre PBC-Abkürzung erhält. Damit kam die Expertengruppe dem dringenden Appell der Patientengruppen nach, das nicht Perfekte zu akzeptieren, um endlich einen Konsens zu finden: „Accept Imperfection.“
Die Expertengruppe reichte im Spätsommer den neuen Begriff „Primär biläre Cholangitis“ offiziell beim sogenannten Governing Board des EASL ein, dem höchsten Entscheidungsgremium dieses Verbandes. Das Governing Board hat die Namensänderung nun offiziell beschlossen. Dies wurde uns auf dem Leberkongress in Boston zunächst mündlich mitgeteilt. Wir gehen davon aus, dass EASL nun die „Primär biliäre Cholangitis“ als neuen offiziellen EASL-Namen verwenden wird.
Gleichzeitig wird im EASL geprüft, welche weiteren offiziellen Schritte notwendig sind, um den Namen der PBC weltweit zu ändern. Es wird darauf gehofft, dass auch die amerikanischen und asiatischen Hepatologenverbände AASLD und APASL dieser Namensänderung zustimmen.
Der Übergang zum neuen Namen wird sicher nicht von heute auf morgen erfolgen: Bis der neue Name „Primär biliäre Cholangitis“ in den Köpfen verankert ist, wird es sicher ein jahrelanger Prozess. Dennoch ist zu hoffen, dass künftigen Generationen von PBC-Patienten bei der Erstdiagnose einige unnötige Ängste erspart bleiben, wenn das Zirrhose-Wort nicht mehr verwendet wird.
Deutsche Leberhilfe e.V.
Autor: Redaktion Leberhilfe | Köln
Quelle:1. Ahrens Jr EH et al.: Primary biliary cirrhosis. Medicine. 1950;29:299–364.
2. Rubin E, Schaffner F, Popper H. Primary biliary cirrhosis. Chronic non-suppurative destructive cholangitis. Am J Pathol 1965;46:387–407.
3. Heathcote EJ: Primary biliary cirrhosis: historical perspective. Clinics in Liver Disease. Volume 7, Issue 4, Pages 735–740 (November 2003).
4. Wahl I et al.: Letter to the Editor. Primary Biliary “Cirrhosis”: Time to replace a misnomer. Hepatology. 2014 Jun 13. doi: 10.1002/hep.27263
5. Beuers U: Autoimmunity in cholestatic liver disease: new concepts and therapy. AASLD 2014. Oral Presentation. 9. November 2014.