Meine Hepatitis-C-Geschichte
Geboren bin ich im Dezember 1951 in einem kleinen Dorf im Taunus. Bereits im Alter von 13 Monaten zog ich mit meinen Eltern nach Frankfurt am Main. Hier hatte mein Vater nach dem 2. Weltkrieg eine Anstellung gefunden. Als Schüler und später Student arbeitete ich vom 16. Lebensjahr als Aushilfe in einer Unfallklinik, sowohl als Gärtner, in der Verwaltung, aber auch einmal für sechs Wochen in der Wäscherei.
Wir bekamen dort jeden Morgen neben der normalen Stationswäsche auch die OP-Wäsche. Da gab es manche Teile, die mit Blut getränkt waren, insbesondere bei den teilweise schwer verletzten Unfallopfern. Wir sortierten sie dann nach Farben und Material mit bloßen Händen, Handschuhe gab es dafür nicht. Warum auch? HIV und Hepatitis C kannte damals ja noch niemand. Ich hatte häufig auch an den Nagelbetten kleine Einrisse und Wunden. Insbesondere war die Haut an den Händen durch das ständige Anfassen der nassen Wäschestücke sehr empfindlich.
Meine Leidensgeschichte begann 1969, ca. ein Jahr vor dem Abitur. Ich bekam erstmals einen schweren Migräneanfall, ohne allerdings zu wissen, dass es sich um gefäßbedingte Migräne handelte. Behandelt wurden die „Kopfschmerzen“ mit einer Vielzahl an Kopfschmerzmitteln. Erst zu Beginn der 90er Jahre wurde aus der Diagnose „Kopfschmerz“ dann die Diagnose „gefäßbedingte Migräne“. Damals neue Migränemittel halfen mir dann und ich konnte endlich etwas gegen die Migräne einsetzen und die Anfälle verkürzen oder sogar im Keim ersticken.
Gesundheits-Checks bescheinigten mir gute Gesundheit, lediglich der Wert „Gamma GT“ war immer etwas erhöht, aber so die Ärzte, „das ist vor dem Hintergrund der über Jahre und in großen Mengen eingenommenen Schmerzmittel zu erklären“. Im Frühjahr 1998 wurde meine Hausarztpraxis um eine internistische Facharztpraxis erweitert. Zu einem Routine-Check erhielt ich einen Termin bei dem Internisten. Nach Auswertung aller Ergebnisse zeigte sich wiederum ein erhöhter Gamma-GT-Wert. Als ich in dem Gespräch dann noch sagte, dass dies bereits häufiger festgestellt wurde, wurde eine erneute Blutentnahme durchgeführt und die Leberwerte GOT und GPT bestimmt.
Nach Vorliegen der Resultate mit ebenfalls erhöhten Werten wurde dann nach erneuter Blutentnahme die Antikörper auf Hepatitis A – C bestimmt. Ich nahm das alles nicht besonders Ernst, was sollte dabei herauskommen, was ist eigentlich Hepatitis? Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt nur gehört, dass „man bei Hepatitis akut erkrankt ist und die Erkrankung mit erheblichen Symptomen wie z.B. Gelbfärbung der Haut und Fieber einhergeht“. Aber ich war ja nicht krank. Rund drei Wochen nach der letzten Blutentnahme bekam ich dann einen Anruf aus der Praxis, ich solle mich dringend beim Arzt vorstellen und erhielt auch umgehend einen Termin am Folgetag.
Bei dem folgenden Gespräch informierte mich der Internist dann über die Diagnose Hepatitis C und machte mir auch die möglichen Folgen der Erkrankung klar. Ganz ehrlich, er überforderte mich dabei völlig. Erst in den nächsten Wochen gelang es mir, mich in das Thema einzulesen. Dabei halfen mir die erhaltenen ärztlichen Hinweise, aber auch eigene Internet-Recherchen. Überwiesen wurde ich dann an einen Oberarzt im örtlichen Krankenhaus, der wohl schon einige Patienten mit Hepatitis therapiert hatte. Nach dem Erstkontakt erfolgten dann weitere Untersuchungen – Bestimmung der Viruslast (zwischen 500.000 und 1 Mio. Einheiten), des Genotyps (1b), Ultraschall und Biopsie (Fibrose).
Die Ursache der Infektion konnte nicht wirklich geklärt werden, schließlich hatte ich nie Drogen konsumiert oder bei früheren Operationen Blutkonserven erhalten. Aber nach der Aushilfstätigkeit in der Wäscherei der Unfallklinik – irgendwann in den Jahren 1972 oder 1973 – war ich für eine Woche an einer Grippe mit hohem Fieber erkrankt. Die Ursache konnte nicht gefunden werden und das Fieber verschwand so schnell, wie es gekommen war. Alle Ärzte, die mich seither wegen der Hepatitis C behandelt haben, sahen in der blutigen Wäsche eine mögliche Quelle der Infektion.
Nach den Untersuchungen und den ärztlichen Hinweisen entschloss ich mich dann 1998 zur ersten Monotherapie mit Interferon Alpha. Nach knapp vier Monaten wurde die Therapie auf ärztliches Anraten ergebnislos abgebrochen. Weder bei der Viruslast noch bei den Leberwerten GOT, GPT und Gamma-GT zeigten sich Erfolge. Die Nebenwirkungen waren erheblich, Schüttelfrost nach jeder Spritze, Glieder- und Gelenkschmerzen, Appetit- und allgemeine Lustlosigkeit, Gewichtsabnahme, Widerwillen gegen jegliches Essen, Depressionen und Schlaflosigkeit. Ich entschied, eine Therapie erst wieder aufzunehmen, wenn es andere Medikamente gab.
Im Jahr 2002 wurde ich dann auf die besseren Heilungschancen der Hepatitis C durch eine Kombination von pegyliertem Interferon Alpha und Ribavirin aufmerksam. Auch wenn die regelmäßigen Kontrolluntersuchungen (Ultraschall und Laborkontrollen) seit 1998 keine Veränderungen des Zustands zeigten, wollte ich die Hepatitis C loswerden. Die Therapie begann Ende August 2002 und es zeigten sich alle Nebenwirkungen der Monotherapie aus dem Jahr 1998. Ich fror selbst in gut geheizten Räumen, mein Gewicht verringerte sich von rund 76 kg auf rund 70 kg nach bereits vier Monaten. Mein Tagesablauf bestand nur noch aus dem Aufstehen morgens, dann ins Büro zur Arbeit und abends wieder nach Hause. Private Kontakte waren nicht mehr möglich, ich wollte und konnte niemanden um mich herum ertragen. Lediglich die Nähe meiner Frau bedeutete mir viel.
Im Januar 2003 musste dann die Dosierung von Ribavirin nach unten angepasst werden, da sich das Blutbild (Leukozyten) erheblich verschlechterte. Trotz allem hielt ich die Therapie durch. Dann so gegen Ende Mai ein erster positiver Bescheid: die GOT-, GPT- und Gamma-GT-Werte sanken leicht. Mein Arzt und ich entschieden uns für eine weitere Fortführung der Therapie, zumal im Mai/Juni 2003 auch die Viruslast leicht zurückging. Ende Juli war das Virus dann unter der Nachweisgrenze und die Therapie wurde bis Mitte August fortgesetzt. Die angestrebte Therapiedauer war ja auch zu Ende.
Wie es mir ging? Einerseits zunächst eine vorsichtige Euphorie, denn die Viruslast lag unter der Nachweisgrenze. Mein Gewicht lag mittlerweile bei rund 64 kg – also mehr als 10 kg unter dem Anfangsgewicht. Hungergefühle hatte ich keine, ich stellte mir eine Uhr und aß nach der Uhr. Schlafen konnte ich auch nicht, die Gelenkschmerzen wurden immer stärker und ich war kaum noch empfänglich für alle schönen Dinge des Lebens. Wenige Wochen nach Therapieende ging es mir immer schlechter. Bei der Laborkontrolle zeigte sich, dass die „Leberwerte“ schlechter als je zuvor waren und die Viruslast im Bereich fünf bis sieben Millionen Einheiten schwankte. In den folgenden Monaten nahm ich weiter ab und wog irgendwann noch 60 kg bei einer Körpergröße von 175 cm.
Im Jahr 2005 wurde ich auf ein Arzt-/Patientenseminar in einer Uniklinik aufmerksam und werde seit dem dort betreut. Halbjährliche Kontrollen der Laborwerte sowie per Ultraschall wurden durchgeführt. Bei einer Magenspiegelung (2011) wurden dann Ösophagusvarizen festgestellt, Anzeichen für eine Zirrhose. Anfang 2014 lautete dann die Diagnose „Zirrhose vierten Grades, aber noch keine Anzeichen der Dekompensation verbunden mit Splenomegalie (vergrößerte Milz) und Thrombozytopenie (zu geringe Zahl der Blutplättchen, teilweise nur 40.000)“. Aufgrund der Vorgeschichte und dem inziwschen deutlich verschlechterten Zustand der Leber wurde ich für die neue Therapie mit Sofosbuvir und Simeprevir vorgesehen.
Am 15.10.2014 begann dann die auf zwölf Wochen ausgelegte Therapie. Nach drei Wochen lag das Virus unter der Nachweisgrenze und die Leberwerte – GOT, GPT und Gamma-GT – im Normbereich. Nebenwirkungen der Therapie – im Vergleich zu den Interferon basierten Therapien keinerlei Vergleich. Sie waren zu vernachlässigen.
Mitte Januar erfolgte dann die erste, vorläufige Kontrolle nach Abschluss der Therapie. Die guten Werte bestätigten sich und vor allem: Das Virus war nun nicht mehr nachweisbar! Ich war schon da in einer Hochstimmung, denn ein so gutes – wenn auch noch nicht endgültiges – Ergebnis hatte ich mit allen anderen Therapien noch nie erlebt: Ich war virenfrei und hatte zwar noch die Nachbeobachtungszeit vor mir, aber fühlte mich bereits als geheilt.
Heute, am Morgen des 9. April 2015 klingelte gegen 7 Uhr 30 das Telefon. Meine Hepatologin von der Uniklinik meldete sich bei mir. Vor zwei Wochen – also etwa drei Monate nach Therapieende – war ich zur Kontrolle der Laborwerte nochmals in der dortigen Hepatitis-Sprechstunde. Und heute erfuhr ich dann, ich bin definitiv vom Hepatitis-C-Virus geheilt. Die Viruslast liegt weiter unter der Nachweisgrenze, die Untersuchung auf die Virus-RNA blieb negativ und die Transaminasen sind im Normbereich.
Natürlich weiß ich, dass die Zirrhose nicht weg ist, aber jetzt habe ich es in der Hand, durch gesunde Lebensweise Belastungen für die Leber zu vermeiden! Natürlich weiß ich auch, dass ich weiterhin regelmäßig zur Kontrolle gehen muss und auch werde. Halbjährlich soll per Ultraschall die Leber kontrolliert werden. Aufgrund der Vorgeschichte gehöre ich ja zu dem Personenkreis, der ein erhöhtes Leberkrebsrisiko hat. Trotz allem – heute bin ich erst einmal nur glücklich, das Hepatitis-C-Virus besiegt zu haben!
Heute nahm ich dann Kontakt zur Leberhilfe auf, deren Mitglied ich seit einigen Jahren bin. Mir ist es ein Anliegen, anderen Betroffenen Mut zu machen. Deshalb fragte ich, ob die Leberhilfe Interesse an meiner Hepatitis-C-Geschichte hat. Nach dem positiven Gespräch mit Herrn van Thiel stelle ich auch gerne meine Geschichte zur Veröffentlichung bereit. Ich würde mich freuen, wenn andere Betroffene daraus für sich Mut schöpfen können – Mut und den Willen nicht aufzugeben. Es lohnt sich!!!
Anm. der Redaktion: Der Name des Patienten ist der Leberhilfe bekannt, dieser möchte jedoch anonym bleiben.