Meine Autoimmunhepatitis und ich
Hey, ich bin Lisa, 32 Jahre alt und habe im Mai 2023 die Diagnose Autoimmunhepatitis (AIH) bekommen.
„Das Wichtigste ist die Gesundheit“ – das habe ich schon so oft gehört und bis zu meiner Diagnose habe ich nicht wirklich gewusst, wie wertvoll sie wirklich ist und was es bedeutet, wenn man sie nicht mehr hat. Gerade als junger Mensch sieht man sie häufig als selbstverständlich an. Ich habe es nie in Frage gestellt, dass sich mein gesundheitlicher Zustand in naher Zukunft so drastisch ändern würde. Ich war jung, gesund, fit und habe mein Leben genossen, habe meine Gesundheit nicht hinterfragt, warum auch?! Ich war selten mal krank und wenn, dann war es höchstens mal eine Erkältung.
Die Monate vor meinem ersten Krankenhausaufenthalt habe ich schon gemerkt, dass etwas nicht stimmt, aber habe mir für alle Symptome immer eine leichte Erklärung zusammengereimt. Müdigkeit, Erschöpfung, Juckreiz, Übelkeit – das erlebt schließlich jeder mal. Gewichtsabnahme – naja ich ernähre mich gut, gehe zum Sport, also war auch das nichts Ungewöhnliches für mich. Als die Oberhauchschmerzen dazu kamen, machte ich mir das erste Mal Gedanken. Was, wenn doch irgendwas nicht stimmt? Dann kamen der dunkle Urin und die gelben Augen dazu und da wusste ich, dass etwas nicht in Ordnung zu sein scheint. Doch selbst da dachte ich mir trotzdem noch, dass es bestimmt nichts Schlimmes ist, denn ich hatte ein sehr großes Vertrauen in meinen Körper und in meine Gesundheit. Bisher hatte ich ja alles immer gut weggesteckt.
Ich entschied mich, nachdem mehrere mir nahstehende Menschen mich auf die gelben Augen aufmerksam machten, es einmal abzuklären. Natürlich war dann Mittwoch Nachmittag und alle Hausarztpraxen hatten geschlossen. Also ging ich auf Anraten einer Freundin in eine Notfallpraxis und erzählte von meinen Beschwerden, von den gelben Augen und den Oberbauchschmerzen, dem dunklen Urin und meiner Übelkeit und Erschöpfung.
„Bitte erschrecken Sie sich nicht, aber ich würde Sie gerne sofort in die Notaufnahme schicken.“ BITTE WAS?! Notaufnahme?? Ich kam mir überhaupt nicht wie ein Notfall vor und war erstmal wie gelähmt. Ging dann mit der Überweisung in die Notaufnahme, meldete mich an und kam mir fehl am Platz vor… noch. Blutabnahme, Ultraschall, EKG, körperliche Untersuchung, Anamnese – es wurden alle erforderlichen Untersuchungen gemacht. Soweit sah es erstmal in Ordnung aus, ich musste allerdings auf die Blutergebnisse warten. Die Blutergebnisse kamen und waren schockierend. Leberwerte bei 2332! (Normal ist unter 35), eine eingeschränkte Blutgerinnung, erhöhtes Bilirubin, und und und. Ich wurde stationär aufgenommen und war erstmal geschockt. Vor ein paar Stunden war ich noch normal auf der Arbeit gewesen und plötzlich lag ich im Krankenhaus.
Mein Zustand verschlechterte sich weiter, die Leberwerte stiegen, mittlerweile war ich am ganzen Körper gelb und wusste die ganze Situation nicht einzuordnen. Ich hörte tausende neue Wörter GPT, GOT, GGT, Fibroscan, intrahepatisch, extrahepatisch, Krankheiten, von denen ich noch nie gehört habe. Die Ärztinnen und Ärzte führten eine ausführliche Diagnostik durch, beantworteten mir Fragen über Fragen. Sie nahmen sich Zeit, nahmen mich ernst, halfen mir mit allem umzugehen. Das war sehr hilfreich und dafür bin ich auch heute noch sehr dankbar. Die Diagnose AIH verfestigte sich immer weiter und mein Zustand verschlechterte sich, sodass ich noch vor der Biopsie eine intravenöse Cortisonstoßtherapie bekam, denn mittlerweile hatte ich ein subakutes Leberversagen. Ich wusste nicht wo oben und unten war und fühlte mich verzweifelt, traurig, aufgeregt, ängstlich, überfordert. Täglich neue Infos brachten mir eine Achterbahnfahrt der Gefühle im Krankenhaus.
Ich war überglücklich, dass mich meine wundervollen Freunde und Familie durch dauerhafte Besuche und Anrufe unterstützten, dass sie mich auffingen, mir halfen mit der Situation umzugehen, sich informierten, mich ablenkten und einfach für mich da waren. Ich nahm die Sorge in den Gesichtern meiner Liebsten jedoch wahr, hörte sie am Telefon – alle waren geschockt und hofften auf eine leichte Erklärung. Als ich von den Untersuchungen, Entwicklungen und Laborwerten berichtete, kam es mir oft so vor, als ob ich die Geschichte einer guten Freundin erzähle – als ob mich das Ganze gar nicht betrifft. In anderen Momenten saß ich weinend auf meinem Bett oder in den Armen meiner Eltern oder meines Freundes und hatte einfach nur unfassbare Angst und war unheimlich traurig und verzweifelt.
Schließlich stand die Diagnose nach etlichen Blutentnahmen und zahlreichen Untersuchungen fest – Autoimmunhepatitis. Wie konnte ich plötzlich so krank sein? Ich, die ich doch immer gesund gewesen war. Mir gingen tausend Fragen durch den Kopf. Was ist eigentlich eine AIH? Wie wird sie mein Leben beeinflussen? Wird sich meine Leber von den Strapazen erholen können? Was bedeutet die Krankheit für mich? Werde ich jemals das Glück haben Mutter zu werden? Welche Medikamente muss ich nehmen? Warum passiert mir das alles? Wie kann es dazu kommen, dass mein Körper sich von innen selbst zerstört?
Die Cortisonstoßtherapie schlug gut an und so wurde ich, als die Werte langsam rückläufig waren, aus dem Krankenhaus entlassen. Ich war froh, dass ich wieder zu Hause war, informierte mich viel und wollte einfach nur mein altes Leben zurück. Doch was es wirklich für mich und meine Lebensqualität bedeutete mit einer unheilbaren, chronischen Autoimmunkrankheit zu leben, habe ich erst in den Wochen und Monaten danach erlebt… Zu Hause realisierte ich erst so richtig, was die letzten Wochen alles passiert war. Es riss mir den Boden unter den Füßen weg, meine Welt brach ein Stück weit zusammen. Wird mein Leben jemals wieder so unbeschwert wie früher sein?
Ich probierte erstmal einfach so weiterzuleben wie vorher und stieß dabei immer wieder an meine Grenzen, da ich durch extreme Schmerzen in den Gelenken und Muskeln, starke Erschöpfung, Schwindel, Konzentrationslosigkeit und völliger Überforderung mit der Situation immer wieder dazu gezwungen wurde Pausen zu machen, mich auszuruhen und auf meinen Körper zu hören. So sehr mir das Prednisolon auch half, so sehr belasteten mich auch die Nebenwirkungen. Ich fühlte mich unwohl in meinem Körper und besonders das runde Gesicht setzte mir zu. Im Sommer fuhr ich mit meinem Freund in den Urlaub. Wir wollten den Kopf frei bekommen und einfach mal entspannen. Ich fing mir einen Darminfekt ein, wurde bewusstlos und fiel auf meinen Kopf – der nächste Schreck. Zum Glück stellte sich im Krankenhaus raus, dass der Sturz keine schlimmen Kopfverletzungen mit sich trug. Trotzdem sorgte es dafür, dass ich immer verunsicherter wurde und zunehmend das Vertrauen in meinen Körper verlor.
Nach den Sommerferien, ich bin Lehrerin an einer Förderschule, ging ich wieder arbeiten, freute mich darauf und merkte auch dort, dass mich die neue Situation immer wieder vor Herausforderungen stellte. Ein normaler Arbeitstag in der Schule war für mich nie ein Problem gewesen. Die Tage waren plötzlich extrem anstrengend und Dinge, die ich mit Leichtigkeit erledigte, fielen mir schwer. Ich merkte, dass mein Körper mir sehr schnell mitteilte, wenn es ihm zu viel wurde. Mir wurde kalt, ich bekam Schmerzen, einen schnellen Puls, mir wurde schwindelig. Und obwohl ich auch auf der Arbeit die beste Unterstützung bekommen habe, die ich mir hätte wünschen können, fiel es mir unheimlich schwer Pausen zu machen, auf meinen Körper zu hören und mir einzugestehen, dass sich Dinge verändert haben. Das konnte und wollte ich einfach nicht akzeptieren. Gegen meine Schmerzen nahm ich Novalgin ein, da dies magenschonender ist als andere Schmerzmittel. Durch die ganzen Medikamente hatte ich nämlich auch immer stärkere Bauchschmerzen.
Mein Zustand verschlechterte sich plötzlich schnell und ich wurde von meinem Hausarzt wieder in die Notaufnahme geschickt. Diagnose: Agranulozytose – eine seltene und schwere Nebenwirkung vom Novalgin. Ich kam in Schutzisolation und alle, die mich besuchen wollten, mussten Maske, Handschuhe und Schutzkittel tragen. Schon wieder war ich traurig, entmutigt und erschöpft von den ganzen Strapazen der letzten Monate. Ich dachte in der Zeit viel über mich und meine Situation nach und merkte immer mehr, dass mein Körper eine Pause brauchte. Nach einer Woche konnte ich wieder nach Hause, da meine Werte sich nach Absetzen des Novalgin wieder normalisierten. Gott sei Dank ist die Agranulozytose nicht chronisch, sodass dieses Kapitel abgeschlossen werden konnte. Das einzig Positive an diesem Aufenthalt war, dass ich in die hepatologische Sprechstunde des Krankenhauses aufgenommen wurde. Ansonsten war es einfach ein weiterer Tiefpunkt, der mich sehr traurig machte.
Aber damit nicht genug, denn in den nächsten Wochen verschlechterten sich meine Leberwerte wieder drastisch. Sie waren 10fach erhöht, sodass ich erneut mit einer hochdosierten Prednisolontherapie starten musste… Ich war am Boden zerstört, da ich ja wusste, was dieses Medikament mit meinem Körper machen würde. Die Werte verbesserten sich hierdurch, wie auch zuvor, schnell, sodass ich es schrittweise reduzieren konnte. Nebenwirkungen gab es natürlich wieder zahlreich. Diesmal kam auch noch ein erhöhter Augeninnendruck dazu – wunderbar! Nach intensiven und zahlreichen Gesprächen mit meinem Arzt nahm ich dann das Azathioprin dazu, vor dem ich aufgrund der vielen Neben- und Langzeitwirkungen wirklich großen Respekt habe. Wir entschieden uns, das Prednisolon durch Budesonid zu ersetzen, da es weniger systemische Nebenwirkungen hat. Aber auch damit stiegen meine Werte leider wieder an. Zum Glück konnte ich diesmal auf das Prednisolon verzichten und wir erhöhten die Dosierungen des Budesonid und des Azathioprins. Mit dieser Dosierung verbesserten sich die Werte wieder deutlich. Mal sehen, wie es weitergeht…
Also… wie geht es mir momentan und wie geht es weiter? Gute Frage… und die ehrliche Antwort auf beide Fragen ist: Ich weiß es nicht! Ich frage mich oft, wie die Achterbahnfahrt meiner Krankheit weitergeht und was als nächstes auf mich wartet. Ich frage mich, ob ich jemals die Krankheit als Teil von mir annehmen kann und ob er Umgang damit dann leichter wird. Ich mache mir Sorgen um die Neben- und Langzeitwirkungen der Medikamente und frage mich, ob weitere Erkrankungen auf mich zukommen. Ich habe Angst vor der Zukunft und möchte gleichzeitig zuversichtlich sein, was ich noch nicht schaffe. Ich habe das Gefühl, dass ich nach wie vor einem Leben nacheifere, dass es in der ursprünglichen Form gar nicht mehr gibt. Und diese Erkenntnis ist unfassbar traurig und schmerzhaft. Ich weiß, dass die Krankheit mich nicht ausmacht und nur ein kleiner Teil meiner gesamten Persönlichkeit ist. Leider vergesse ich das oft, da die Krankheit viele Bereiche meines Lebens stark beeinflusst. Ich habe das Gefühl, dass die Autoimmunhepatitis mir ein Stück meiner Unbeschwertheit und Leichtigkeit genommen hat, mit der ich bisher durchs Leben gegangen bin und ich frage mich, ob ich sie jemals wiederbekomme. Eine normale Blutentnahme z.B. ist nicht nur ein gewöhnlicher Check-up für mich, sondern ein Tag voller Emotionen. Die Blutentnahme, die immer eine Mischung aus Hoffnung auf Besserung und Angst vor Verschlechterung ist, entscheidet darüber, wie mein gesundheitlicher Zustand ist, wie hoch meine Medikamentendosis ist und wie es für mich weitergeht. Für ein Treffen, auf das ich mich freue, muss ich vorher meine Kapazitäten haushalten, damit sie nicht aufgebraucht sind. Die Grenzen meines Körpers haben sich verschoben, durch die Krankheit und die Medikamente. Ich habe gute Tage, an denen ich mein Leben weitestgehend normal leben kann, an denen ich Hoffnung auf Besserung habe, an denen ich glücklich und unbeschwert bin, an denen ich lachen kann, aber ich habe viel mehr schlechte Tage, an denen ich starke Schmerzen habe, Fieber bekomme, mein Herz rast, mir schwindelig ist, ich rastlos bin, mir Sorgen mache, verzweifelt bin und weine, an denen mich selbst Kleinigkeiten wie Essen machen so sehr anstrengen, dass ich mich erstmal hinsetzen muss. Ich habe Tage, an denen ich liegen muss, da die Schmerzen sonst zu stark werden. Manchmal versuche ich die Symptome zu ignorieren und dann werden sie noch schlimmer, manchmal geht es mir gut und aus dem Nichts verschlechtert sich mein Zustand. Ich habe Angst, dass ich belastend für Andere bin, auch wenn mir immer wieder versichert wird, dass es nicht der Fall ist.
Und das ist auch der Punkt, für den ich unendlich dankbar bin. Ich bin dankbar für mein wundervolles, unterstützendes Umfeld. Meinen Freund, meine Freundinnen und Freunde und meine Familie, die ich über alles liebe und die alle bedingungslos hinter mir stehen und mich unterstützen. Ich bin dankbar, dass ich so wunderbare Menschen in meinem Leben habe und wüsste nicht, wie ich es ohne sie schaffen sollte. Ich bin dankbar, für meinen empathischen und tollen Arzt, der sich zeit für mich nimmt, der mich ernst nimmt, mit dem ich alle meine Sorgen, Ängste und Fragen besprechen kann, der für mich da ist, dem meine Genesung wichtig ist. Und ich bin dankbar für den Austausch mit anderen Betroffenen, die Gleiches oder Ähnliches erleben, die nachempfinden können, was ich fühle, die zuhören und gute Tipps haben. Und dieses gesamte Netz fängt mich immer wieder auf, wenn es mal wieder bergab geht und hilft mir dabei mit der Situation klarzukommen. Auch wenn ich falle, falle ich weich.
Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass ich lerne mit der Krankheit zu leben und sie besser einschätzen zu können, dass meine Sorgen und Ängste sich verkleinern und dass ich die Bedürfnisse meines Körpers besser wahrnehmen und annehmen kann. Ich wünsche mir, dass die guten Tage irgendwann überwiegen und ich wieder mehr Leichtigkeit und Unbeschwertheit erlebe. Ich wünsche mir, auch wenn es unheimlich schmerzt, dass ich ein neues Leben finde, mit dem ich gut leben kann, auch wenn es vielleicht nie mehr so wird wie vorher. Dass ich Menschen dann helfen kann, die neu in diese Situation kommen. Also nochmal zu der Frage, ob Gesundheit denn nun das Wichtigste ist? Wenn man krank ist, dann merkt man, dass Gesundheit Alles bedeutet und dass sie den Takt vorgibt, in dem das Leben stattfindet. Man lernt sich über kleine Dinge zu freuen, den Körper und seine Bedürfnisse besser wahrzunehmen und sich auf das zu fokussieren, was einem wirklich guttut. Also ja, Gesundheit ist für mich, zusammen mit meinem wunderbaren und liebevollen Umfeld, das Wichtigste, was es gibt.
Lisa
Januar 2024