24. Juni

Mein normales Leben mit Meulengracht

Juli 2019: Bei mir besteht seit vielen Jahren der Verdacht auf Meulengracht: Wenn ich das Blutbild beim Arzt machen lasse, sieht fast alles normal aus. Ein Ausreißer ist nur das Bilirubin, welches immer mal mehr, mal weniger erhöht ist. „Das wird wohl ein Meulengracht sein“, meinte der Arzt vor Jahren. „Och ja. Da kann ich mit leben“, war meine Reaktion. Ich gehöre zu den Menschen, die mit Meulengracht keine oder kaum Probleme haben.

Nicht jedem geht es so wie mir, das sehe ich in Internetforen und habe es in einigen Gesprächen auch gehört (ich arbeite im Gesundheitsdienst). Manche Betroffene haben mit heftigen Symptomen zu kämpfen: Müdigkeit, Schübe von Gelbsucht und komische Blicke von anderen, Übelkeit, Depressionen und andere Symptome. Und werden von Ärzten abgewimmelt, wenn sie diese Beschwerden schildern. Nun gut. Es gibt ja praktisch keine Behandlungsmöglichkeiten und Organschäden macht der Meulengracht ja auch nicht.

Starke Beschwerden habe ich selbst bisher nicht erlebt und die Verdachtsdiagnose besteht bei mir seit 10 bis 15 Jahren. Allerdings habe ich den Meulengracht-Verdacht nie mit einem Gentest überprüfen lassen, weil in meinem Fall praktisch kein Leidensdruck vorliegt: Starke Schübe von Gelbsucht hatte ich zum Beispiel nie. Ja, ich bin häufiger müde, aber inwieweit ich dafür den Meulengracht verantwortlich machen kann, weiß ich nicht. Ich bin häufiger abends lange auf und schlafe zu wenig, das würde für meine Müdigkeit als Erklärung auch ausreichen. Ich hatte auch mal Phasen, wo ich deprimiert war, aber dafür gab es dann konkrete Anlässe in meinem sozialen Umfeld: Mal war es Stress auf der Arbeit, mal war es Pech in der Liebe, mal war es ein Trauerfall. Bei keinem dieser Probleme bin ich sicher, ob mein Meulengracht da irgendwie hereingefunkt und Beschwerden verstärkt hat. Und wenn ich mal (selten) Arzneimittel brauche wie z.B. Kopfschmerztabletten, denke ich auch groß nicht über meinen Meulengracht nach, wohl weil ich bisher noch keine Probleme mit der Verträglichkeit hatte.

Vielleicht liegt es an unauffälligen Betroffenen wie mir, dass Meulengracht von Ärzten nicht ernst genommen wird. Für mich persönlich ist meine Verdachtsdiagnose tatsächlich nicht mehr als ein Achselzucken beim Blutbild.

Andere leiden wesentlich stärker als ich. Neben dem körperlichen Leiden sind diese Betroffenen extrem frustriert, dass es von ärztlicher Seite keine Hilfestellung gibt und dass ihre Symptome nicht ernstgenommen werden. Ich bin überzeugt: Das Leiden dieser Betroffenen ist genauso real wie mein normales Befinden, mit der gleichen Diagnose.

Es wäre gut, wenn an Meulengracht mehr geforscht wird. Man müsste mal eine Umfrage bei Meulengracht-Betroffenen starten, wer an welchen Symptomen leidet und wie oft. Es wäre gut, wenn so eine Umfrage nicht nur in Onlineforen gemacht würde, denn dann nehmen wahrscheinlich nur Leute teil, die besonders viel Leidensdruck haben. Es wäre gut, wenn so etwas gleichzeitig über Arztpraxen oder Kliniken liefe, wo auch unauffällige Betroffene mit erhöhten Bilirubinwerten angesprochen werden. Dann hätte man endlich mal ein besseres Bild, wie sich Meulengracht auf das Leben auswirkt. Und dann wäre es gut zu erforschen, ob es für Betroffene mit Symptomen auch Möglichkeiten gibt, diese zu behandeln. Für all dies braucht es aber mehr Ärzte, die der Diagnose „Meulengracht“ mit neugierigem und offenem Blick gegenüberstehen.

Update Juni 2021:

Ich bekam Mitte Mai meine erste COVID-Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff. Dass ich relativ früh geimpft wurde, habe ich wohl Patienten in der Praxis zu verdanken, die eigentlich vor mir an der Reihe waren, aber den Impfstoff ablehnten. Trotz negativer Presse und leicht mulmigem Gefühl („Thrombosen… ja, ganz selten… aber was, wenn ausgerechnet ich…“) war ich froh über die Gelegenheit.

Den Pieks am Freitagmorgen habe ich kaum gespürt. Abends kamen dann erhöhte Temperatur, mäßige Kopf- und Gliederschmerzen und kräftiger Schüttelfrost. Mit solchen Nebenwirkungen hatte ich schon gerechnet, habe dann eine Ibu genommen und gut geschlafen. Schüttelfrost und Tempe­ratur waren am Samstagmorgen schon wieder weg. Gliederschmerzen und leichtes Kopfweh hatte ich noch bis Sonntag und war einige Tage müder als sonst, konnte aber normal arbeiten gehen. Eine knappe Woche nach der Impfung war ich wieder ganz fit und habe nun bereits mehr innere Ruhe wegen Corona.

Ich fand die Verträglichkeit der AstraZeneca-Impfung mäßig, aber okay. Auf jeden Fall besser, als das echte Virus auszuprobieren. Im August steht die zweite AstraZeneca-Impfung an. Hätte ich die Wahl, würde ich dann auf einen mRNA-Impfstoff wechseln, ggf. stärkere Nebenwirkungen in Kauf nehmen und auf einen noch besseren Impfschutz hoffen.

Update November 2021:

Mein Wunsch ist damals in Erfüllung gegangen: Ich erhielt Mitte Juli eine Zweitimpfung mit dem mRNA-Impfstoff von BioNTech/Pfizer. Bei der zweiten Impfung hatte ich, anders als erwartet, so gut wie keine Impfreaktionen. Ein leichter Druck im Oberarm und Müdigkeit für einen Tag, sonst nichts. Ich persönlich habe meine Impfung als Befreiungsschlag erlebt, lebe seitdem viel entspannter und habe mein volles Sozialleben wieder aufgenommen. Die Grippeimpfung habe ich nun auch mitgenommen und so wenig gespürt, dass ich sie wenige Stunden später schon wieder vergessen hatte. Was COVID angeht, informiere ich mich weiter. Das Restrisiko einer Durchbruchinfektion akzeptiere ich und würde als Geimpfter auf einen deutlich abgemilderten Verlauf hoffen. Sollte auch mir demnächst eine Boosterimpfung angeboten werden, stehe ich gut gelaunt und gelassen in der ersten Reihe dafür an.

Der Autor dieses Textes möchte anonym bleiben.

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