Hämochromatose: Zu viel Eisen im Körper schadet
Im Jahr 1970 setzte bei mir unerwartet Haarausfall ein. Dies war deshalb ungewöhnlich, weil alle männlichen Mitglieder unserer Familie, auch im hohen Alter, noch über ihr Haupthaar verfügten. Mein Haus- und mein Hautarzt gaben mir diverse Tinkturen zum Einreiben sowie Spezialshampoos, die aber alle ihre Wirkung verfehlten. Der Haarausfall war nicht zu stoppen!
Des Weiteren entwickelte ich eine über die Jahre zunehmende große Infektanfälligkeit, so dass ich in manchem Jahr nicht nur mehrfach an Grippe, sondern auch an fiebriger Bronchitis litt. Von 1997 an mussten Antibiotika eingesetzt werden, weil sonst nichts mehr half.
Ab dem Jahr 1975 litt ich außerdem zunehmend unter Magen- und Darmproblemen. Durchfälle wechselten sich immer wieder mit Verstopfungen ab. Es kam bei mir zu Unverträglichkeiten (Kaffee, Zitrusfrüchte, scharfe Gewürze, kalte sowie heiße Getränke und Speisen usw.). Zunächst versuchte ich, mir mit diversen Mitteln selbst zu helfen (Rennie, Kohletabletten etc.) Späterbekam ich von meinem Arzt mal etwas gegen Verstopfung, dann wieder etwas gegen Durchfall.
Seit dieser Zeit lasse ich regelmäßig 1–2 mal im Jahr mein Blut untersuchen. Im Jahr 1985 wurden schließlich durch eine Blutuntersuchung erstmalig bei mir erhöhte Leberwerte festgestellt.
Bei weiteren Untersuchungen (u. a. Ultraschall, Röntgen und Magenspiegelung) diagnostizierte man bei mir Antikörper gegen Hepatitis A, einen mäßigen Leberparenchymschaden, Gallensteine sowie eine Refluxösophagitis.
Ich wurde mit dem Begriff „Säuferleber“ konfrontiert. Mein damaliger Internist riet mir deshalb, Alkohol, Fett und Stress möglichst zu meiden. Nachdem ich ihm klarmachen konnte, dass ich Alkohol ohnehin nur selten und dann in geringem Maße zu mir nehme, riet er mir zur Entfernung der Gallenblase, was ich aber dankend ablehnte.
Daraufhin meinte er, dann solle ich sie halt bis zu meiner ersten Kolik behalten!
Seit 1992 wurde bei Blutentnahmen regelmäßig ein Eisenwert (Fe) oberhalb des Referenzbereichs von 70–180ug/dl nachgewiesen. Parallel zu den Leberwerten (SGPT, SGOT, Gamma-GT) stieg der Eisenwert im Laufe der Jahre weiter an (1992 = 205, 1994 = 212, 1996 = 221, 1999 = 240) Zu diesen hohen Eisenwerten befragt, meinte mein damaliger Hausarzt: „Niedrige Eisenwerte sind schlimmer und müssen medikamentös behandelt werden. Hohe Eisenwerte hingegen sind zu vernachlässigen und bedürfen keiner Behandlung. Sie können ganz beruhigt sein.“
Es zeigten sich bei mir in der Folgezeit Symptome wie trockene, spröde Haut, Gelenk-, Wirbelsäulen- und Kreislaufbeschwerden, Abgeschlagenheit, Konzentrationsstörungen usw. Auch bekam ich zusehends rote und braune Flecken an Füßen und Beinen sowie eine vermehrte braune Hautpigmentierung.
Ab 1998 bekam ich aus heiterem Himmel immer wieder Hitzeschübe, gefolgt von Kälteempfindungen. Mein Hausarzt hatte für all diese Symptome Erklärungen parat (Wechseljahre, zu enge Schuhe, zu viel in der Sonne gelegen, zu wenig Bewegung usw.).
Im Sommer 1999 machte mich meine Frau auf einen Artikel im „Kölner Wochenspiegel“ (eine Zeitung, die kostenlos an die Kölner Haushalte verteilt wird) über die Gründungsversammlung einer Hämochromatose-Selbsthilfegruppe in Köln aufmerksam. (Hämochromatose = Eisenspeicherkrankheit)
Nachdem ich anfangs noch zweifelte („Wie heißt die Krankheit? Hämo… was? Und das soll was für mich sein?“) nahm ich den Termin wahr und erfuhr dort, dass es neben dem bei mir gemessenen Eisenwert („Fe“) noch zwei weitere, wesentlich aussagefähigere Werte des Eisens gibt: Ferritin und Transferrin!
Auf mein Drängen hin wurden von meinem Hausarzt („An Hämochromatose glaube ich bei Ihnen nicht.“) folgende Werte ermittelt: Ferritin = 1.447 ng/ml! (Referenzbereich: 15–200ng/ml) Transferrin = 173 mg/dl! Referenzbereich: 200–400 mg/dl)
Er überwies mich unverzüglich an einen Hämochromatose-Spezialisten. Weitere Untersuchungen bei diversen Fachärzten ergaben im Oktober 1999: – Ferritinwert von 4.147 ng/ml !!!! – Ein Wert ab etwa 800 ng /ml ist organschädigend!
– Leberparenchymschaden mit Pigmentzirrhose (nicht umkehrbare Leberschädigung)
– Splenomegalie (auch Milztumor genannt)
– Cholezystolithiasis (Gallensteinbildung)
– lipomatöse Parenchymumwandlung des Pankreas (Bauchspeicheldrüse)
– Endokrinopathie (hormonelle Störung) und als Zufallsbefund
– Nierenzelltumor in der rechten Niere mit einem Durchmesser von 5,5 cm!
Dagegen wurden keine Antikörper gegen Hepatitis A, B und C nachgewiesen. Kardiologische Schädigungen konnten mit den herkömmlichen Methoden nicht festgestellt, aber auch nicht ausgeschlossen werden. Anfang November 1999 wurden mir die rechte Niere und Nebenniere mit den zugehörigen Lymphen in einer Klinik operativ entfernt.
Eine anschließende Untersuchung der entnommenen Niere ergab, dass es sich bei dem Tumor um ein bösartiges Karzinom handelte, das unentdeckt innerhalb von 1–2 Jahren zum Tode geführt hätte. Die Eisenspeicherkrankheit hätte wegen der übrigen Folgekrankheiten unbehandelt ebenfalls einen tödlichen Ausgang für mich genommen.
Eine bei der Operation durchgeführte Leberbiopsie bestätigte den Verdacht auf Hämochromatose. Bei einer später erfolgten Hämochromatose-Genotypisierung wurde die „Mutation Cys 282 Tyr homozygot“ nachgewiesen, d. h., es handelt sich um einen vererbten Gendefekt, der von beiden Elternteilen weitergegeben wird. Während meines Klinikaufenthaltes zog ich mir eine Streptokokken-Infektion zu, was aber von den behandelnden Ärzten als Empfindlichkeitsreaktion meines Körpers auf das Wundpflaster“ abgetan wurde. Trotz ständig eiternder Wunde wurde ich daher bereits 12 Tage nach der OP mit dem Vermerk „nahezu beschwerdefrei“ entlassen!
Diese Wundinfektion hat mich die nächsten Monate sehr geschwächt und mich fast umgebracht.
Da die Wundnarbe immer wieder an wechselnden Stellen aufplatzte, verlor ich in dieser Zeit nicht nur über 10 kg an Gewicht, sondern auch meinen Glauben an die Fähigkeit mancher Ärzte. Nach mehreren Versuchen mit Salben und verschiedenen Antibiotika konnte die Infektion im Februar 2000 endlich gestoppt werden. Der Grund allen Übels war ein offensichtlich nicht keimfreies Stück eines Operationsfadens, der kurz vor Verschluss der letzten noch verbliebenen Wundöffnung zum Vorschein kam!
Im Februar 2000 begann für mich die Aderlass-Therapie. Es ist für Hämochromatose-Patienten eine effektive Methode, um das überschüssige Eisen loszuwerden. Dabei ging mein Arzt wegen des hohen Ferritinwertes von einer Zeit zwischen zwei und drei Jahren aus (bei einem 3-wöchigen Aderlassturnus mit jeweils 500 ml Blutentnahme), bis sich die Eisenkonzentration nicht mehr organschädigend auswirken würde. Wegen meines labilen Gesundheitszustandes vertrug ich die ersten Aderlässe nur schlecht und kollabierte jedes Mal. Auch waren die Blutwerte nicht gut und verschlechterten sich.
Zwei kompetente Fachärzte aus Köln und von der Uni-Klinik Heidelberg teilten die Meinung, dass bei mir auf Grund der Organschädigungen und der hohen Ferritinkonzentration konsequent wöchentliche Aderlässe von 500 ml erforderlich wären, um Schlimmeres zu vermeiden. Mein Hämatologe lehnte dies ab; er wollte wegen der schlechten Blutwerte auf 250 ml reduzieren, was ich ihm aber ausreden konnte.
Inzwischen hatte ich erfahren, dass es für Patienten mit ausgewiesenen Schwierigkeiten bei den Aderlässen als Möglichkeit die Rückführung des „hellen“ Blutes und somit die Erhaltung der Thrombozyten und der Immunstoffe gibt (so genannte „Apherese“). Deshalb hatte ich Kontakt zu Prof. Dr. Dr. H. Borberg, Leiter des Deutschen Hämapherese-Zentrums in Köln, aufgenommen, der mir einen Kostenvoranschlag unterbreitete.
In der Zeit von Mitte April bis Mitte Mai 2000 befand ich mich zur Rehabilitation in Reinhardshausen. Aderlässe konnte bzw. wollte man dort während dieser Zeit nicht durchführen. Die Krankenkasse lehnte die Bezahlung der Apherese-Behandlung zunächst kommentarlos ab. Und auch ein von mir eingereichter Widerspruch mit ausführlicher Begründung der Behandlungsnotwendigkeit wurde von der Gutachterkommission negativ beschieden.
Mein damaliger Hämatologe war nicht bereit, eine Stellungnahme für die Notwendigkeit der Apherese zu schreiben.
Ich wechselte den Arzt!
Nach einer Untersuchung in der Uni-Klinik Heidelberg im Juni 2000 erhielt ich von dort eine Stellungnahme, die mir bei meinem weiteren Vorgehen gegenüber der Krankenkasse hätte helfen können. Leider stellte meine Hämatologin nun fest, dass sich auch das „rote Blut“ (Hb, Hämatokrit) so verschlechtert hatte, dass wöchentliche Aderlässe zu riskant waren. Die Aderlässe wurden deshalb zunächst weiterhin nur alle drei Wochen durchgeführt und die Blutmenge musste von 500 ml auf 300 ml pro Aderlass reduziert werden.
Im Laufe des Jahres stabilisierten sich die Blutwerte wieder. Somit konnte man ab November alle zwei Wochen und ab Anfang des Jahres 2001 jede Woche 500 ml Blut entnehmen. Für den Kreislauf erhalte ich vor jedem Aderlass Effortiltropfen sowie 1 l NaCl-Lösung, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Seit Anfang 2003 brauche ich nur noch vier Aderlässe jährlich, aber das für den Rest meines Lebens. Ob die Blutwerte stabil bleiben, wird die nahe Zukunft zeigen. Dass ich noch lebe, habe ich einigen glücklichen Umständen zu verdanken.
Damit andere Menschen nicht genauso auf das Glück angewiesen sind, um als Hämochromatose-Betroffener erkannt zu werden, dafür habe ich meine Geschichte aufgeschrieben.
Und ich möchte zum guten Schluss allen Betroffenen sagen: Lasst nie den Kopf hängen und gebt niemals auf! Es lohnt sich zu kämpfen!
Trotz allem.
Harald Lauble