5. Juni

„Aber du siehst doch gesund aus“ – Leben mit einer unsichtbaren Erschöpfung

Im Sommer 2019 bekam ich die Diagnose „Primär biliäre Cholangitis“. Von dieser chronischen Autoimmunerkrankung – deren Namen ich mir anfangs nicht einmal richtig merken konnte – hatte ich noch nie zuvor gehört. Die Abkürzung „PBC“ ging zwar leichter über die Lippen, doch in meinem Kopf blieb ein großes Fragezeichen: Was ist das für eine Krankheit? Warum bekommt man so etwas? Und natürlich: Warum ich? Was habe ich falsch gemacht?

Ich war am Ende mit meiner Weisheit – und gleichzeitig am Anfang eines langen, herausfordernden und spannenden Weges.

Mein Leben war immer geprägt von Bewegung, Spontanität und Tempo. Als Art Direktorin in der großen, aufregenden Modewelt war ich ständig unterwegs. Ich kannte die schönsten Strände, wusste genau, wo man den spektakulärsten Sonnenuntergang einfangen konnte, und arbeitete mit meinem Team an den beeindruckendsten Locations.

Doch irgendwann passte etwas nicht mehr. Ich wurde müde – nicht einfach nur abends nach einem langen Tag, sondern durchgehend. Mein Körper bremste mich aus, obwohl mein Kopf noch auf „Vollgas“ eingestellt war. Nach einem Fotoshooting brauchte ich plötzlich mehrere Tage, um mich zu erholen. Selbst einfache Dinge wie Einkaufen oder ein Spaziergang fühlten sich an wie ein Marathon.

Zuerst dachte ich, es sei der Stress. Oder vielleicht das Alter. Ich versuchte, dagegen anzukämpfen, arbeitete weiter, biss die Zähne zusammen. Doch mein Körper forderte eine neue Realität ein – leise, aber konsequent. Und das war neu für mich: Ich, die immer alles im Griff hatte, wurde von etwas Unsichtbarem ausgebremst.

Bei einem Routinecheck beim Arzt fielen plötzlich erhöhte Leberwerte auf. Es dauerte dann noch einige Monate bis zur endgültigen Diagnose. Rückblickend hatte ich dabei sogar Glück – denn wie ich heute weiß, erleben viele Betroffene einen langen Irrweg durch das Gesundheitssystem, bevor sie endlich erfahren, was ihnen fehlt.

Meine PBC wird seither mit dem Standardmedikament Ursodeoxycholsäure behandelt – und das mit gutem Erfolg. Der Verlauf ist stabil, die Blutwerte haben sich gebessert.

Viel schwieriger ist es allerdings, mit den Symptomen zurechtzukommen. Allen voran: die Fatigue.

Ich bekam oft zu hören: „Du siehst doch gut aus – du wirkst gar nicht krank!“ Oder: „Vielleicht brauchst du einfach mal Urlaub.“ Aber mein Akku ließ sich nicht mehr einfach durch ein Wochenende aufladen – manchmal gar nicht mehr. Meine Konzentration ließ nach, meine Merkfähigkeit schwand. Von außen fiel das niemandem auf. Aber ich spürte es deutlich.

Mir wurde bald klar: Ich konnte meinen geliebten Beruf nicht mehr ausüben. Zwölf-Stunden-Tage, internationale Produktionen, Fernreisen – all das war mein Leben gewesen. Und jetzt? Jetzt kostete mich selbst der Einkauf Kraft. Der Haushalt, alltägliche Dinge – sie überforderten mich.

Zusätzlich wuchsen meine finanziellen Sorgen: Wie sollte ich mit der PBC und der Fatigue leben, wenn ich nicht mehr arbeiten konnte? Ich fühlte mich abgehängt, machtlos – und ja, auch wertlos. All diese Erkenntnisse waren kein guter Nährboden für einen positiven Umgang mit meiner neuen Realität.

Und dann machte ich mich auf meinen ganz persönlichen Weg. Nachdem ich meine finanzielle Situation geklärt hatte, begann ich herauszufinden, was mir wirklich guttut – und warum.

In meiner bisherigen Arbeitswelt hatte so ein Denken keinen Platz. Ich hatte immer nur funktioniert, immer geliefert, ohne je zu hinterfragen, wie es mir dabei eigentlich ging.

Jetzt musste ich lernen, mich selbst wahrzunehmen. Ich probierte vieles aus – und sortierte ebenso vieles wieder aus. Mit der Zeit erkannte ich, was mir wirklich hilft: Die Natur. Und Bewegung – im richtigen Maß.

Ob Wandern, Spazierengehen oder einfach nur Schlendern – ich richte mich nach dem, was mein Körper gerade zulässt. Mal sind es größere Touren, oft nur kleine Ausflüge. Aber jeder Schritt nach draußen ist auch ein Schritt zu mir selbst geworden.

Ich habe meine Diagnose akzeptiert – und damit auch die Fatigue. Sie ist zu einer ständigen Begleiterin geworden. Manchmal habe ich das Gefühl, sie wartet morgens schon am Bett auf mich. Mal ist sie leiser, mal fordert sie meine volle Aufmerksamkeit – und ja, manchmal geht sie mir richtig auf die Nerven. Besonders dann, wenn sie mich ausbremst. Zum Beispiel abends, wenn ich mich eigentlich mit Freunden treffen möchte, aber einfach zu müde bin.

Deshalb plane ich meine Verabredungen heute meist am Nachmittag. Enge Freunde und Bekannte wissen Bescheid – aber eben nicht alle. Ich möchte nicht, dass meine Erkrankung zum ständigen Gesprächsthema wird. Und ich will auch nicht permanent gefragt werden, wie es mir geht. Ich bestimme, wann ich darüber spreche – und wie viel ich erzähle.

Neben der Bewegung – die mir zwar nicht immer leichtfällt, mir aber danach spürbar Erleichterung bringt – habe ich noch eine weitere Strategie: mein Power Napping.
Das bedeutet: Mehrmals täglich, ganz nach Bedarf, gönne ich mir ein kleines Nickerchen. Nur 20 bis 30 Minuten – und es geht wieder weiter.

Anfangs hatte ich dabei ein schlechtes Gewissen. Ich dachte, ich müsse mich rechtfertigen. Doch auch daran habe ich gearbeitet. Wem schulde ich Rechenschaft? Niemandem. Ich allein bin verantwortlich – für mich und meinen Körper.

Neben der medizinischen Versorgung, der Bewegung in der Natur und meinen eigenen Strategien war (und ist) die Unterstützung meiner Familie ein ganz wichtiger Anker für mich. Mein Mann hat von Anfang an mit mir gemeinsam versucht zu verstehen, was diese Erkrankung bedeutet – und wie wir den Alltag gemeinsam neu gestalten können. Er begegnet meiner Erschöpfung nicht mit Ungeduld, sondern mit Verständnis, und das gibt mir Kraft.

Auch meine Familie insgesamt gibt mir das Gefühl, nicht allein zu sein mit allem. Sie sehen nicht nur die Symptome, sondern mich als ganzen Menschen – mit meinen guten und meinen schlechten Tagen. Das hilft mir, mich selbst nicht zu verlieren und immer wieder aufzustehen. Ihre Unterstützung ist oft leise, aber genau das macht sie so besonders.

Ich gehe regelmäßig zu meinen Verlaufskontrollen und bin sehr dankbar, dass ich verständnisvolle Ärztinnen und Ärzte gefunden habe, die meine Fragen und Ängste ernst nehmen.
Ich besuche auch Patientenveranstaltungen und informiere mich über neue Erkenntnisse im Bereich chronischer Autoimmunerkrankungen. Das hilft mir, besser mit meiner Unsicherheit umzugehen – und meine Ängste zu reduzieren.

Mit dieser Strategie lebe ich mittlerweile gut.
Der neue Weg, auf den mich die Erkrankung geführt hat, bleibt spannend – und herausfordernd. Nicht immer ist er geradlinig oder einfach. Auch ich muss mich immer wieder aufs Neue mühen. Aber die Mühe lohnt sich. Jeder Schritt zählt.

Und meine Freundin Fatigue?
Die ist immer mit dabei.
So bin ich nie ganz allein unterwegs.

K.E.
Juni 2025

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