27. März

Nebenwirkungen melden? Ja, das geht.

Eine neue Webseite vereinfacht die Meldung von Nebenwirkungen, ohne dass Patienten ihre Identität preisgeben müssen.

Einleitung der Deutschen Leberhilfe e.V.: Hier finden Sie eine Pressemeldung der Medikura Digital Health GmbH, welche die Webseite www.nebenwirkungen.de ins Leben gerufen hat. Die Deutsche Leberhilfe e.V. begrüßt diese Webseite, da sie für Privatpersonen die Meldung von Nebenwirkungen deutlich vereinfacht. Einen ausführlichen Kommentar der Leberhilfe finden Sie im Anschluss an diesen Text.



Nebenwirkungen sind ein sehr unangenehmes Thema, zumal sie meistens diejenigen betreffen, die auf die Einnahme mehrerer Medikamente angewiesen sind, z.B. Menschen mit chronischen Erkrankungen.

Nebenwirkungen sind unerwünschte Begleiterscheinungen, die neben der gewünschten Hauptwirkung auftreten, wie z.B. Schwindel oder Erbrechen. Bei der Einnahme von zwei oder mehr Medikamenten kann es auch zu sogenannten Wechselwirkungen kommen, entweder weil sich Nebenwirkungen durch den Wirkstoff des anderen Medikaments verstärken oder auch neue Nebenwirkungen durch die Kombination von Wirkstoffen auftreten können.

Viele Nebenwirkungen führen zu einer vorübergehenden Befindlichkeitsstörung und können vernachlässigt werden. Doch gibt es auch solche, die zur Arbeitsunfähigkeit, einem Krankenhausaufenthalt, bleibenden Schäden oder im schlimmsten Fall zum Tod führen können.

Die Europäische Kommission schätzt, dass jedes Jahr circa 200.000 Menschen aufgrund von Nebenwirkungen sterben, was weit mehr Tote als im Straßenverkehr sind. Studien zufolge sind aber circa 40% aller Nebenwirkungen, die zu Krankenhausaufenthalten führen, vermeidbar, weil man auf andere Medikamente umsteigen könnte, eine andere Dosis verträglicher wäre oder Medikamente nicht gleichzeitig eingenommen werden dürfen.

Um das in Zukunft zu vermeiden, hilft nur eines: Jede Nebenwirkung sollte gemeldet werden, damit eine bessere Informationsbasis für die Verträglichkeit und Sicherheit von Medikamenten vorhanden ist. Das ist auch deshalb so wichtig, da die Kenntnisse über Nebenwirkungen gerade bei neuen Medikamenten bei der Zulassung noch unzureichend sind.

Klinische Studien werden vor der Markteinführung von Medikamenten nur über einen begrenzten Zeitraum und oft nur an einem sorgfältig ausgewählten Patientenkreis durchgeführt. Das Auftreten von Nebenwirkungen bei bestimmten Patientengruppen, wie Kindern, älteren Menschen oder Menschen mit chronischen Erkrankungen, wird daher meist erst nach Zulassung beobachtet. Das ist nach wie vor ein großes Problem, denn Schätzungen zufolge werden weniger als 1% aller Nebenwirkungen gemeldet. Das liegt unter anderem daran, dass die derzeit verfügbaren Meldewege wenig bekannt, kaum akzeptiert und teilweise sehr bürokratisch sind.

Um das zu ändern, können Sie als Patient jetzt schnell und einfach Ihre Nebenwirkungen über www.nebenwirkungen.de/melden an den Hersteller melden, ohne Ihre Identität preiszugeben. Das Besondere ist, dass Sie (wenn Sie dies wünschen) hierbei auch Ihren Arzt eigenständig einbinden können, der die Meldung überprüfen und ergänzen kann. Zudem ist es auch wichtig, dass der behandelnde Arzt über das Auftreten von Nebenwirkungen seiner Patienten informiert ist, damit er entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen kann. Ihre Meldung wird anschließend ohne Ihre persönlichen Angaben an den Hersteller weitergeleitet, der eine Bewertung vornimmt und die neue Meldung mit den bisherigen Erfahrungswerten vergleicht. Das kann dazu führen, dass neue Hinweise hinsichtlich unbekannter Nebenwirkungen oder der tatsächlichen Häufigkeit bekannter Nebenwirkungen auftreten. In jedem Fall wird Ihre Meldung an die zuständige Behörde weitergeleitet und taucht in offiziellen Statistiken auf.

Die Idee hinter www.nebenwirkungen.de basiert auf der persönlichen Erfahrung der Mitgründerin, Friderike Bruchmann, welche selbst vor zweieinhalb Jahren Nebenwirkungen aufgrund eines Antibiotikums hatte und ihre Nebenwirkungen mitteilen wollte. Nur leider konnte sie Freitagabend gegen 22 Uhr niemanden mehr telefonisch erreichen und hat – wie so viele Patienten – Dr. Google für Rat aufgesucht. Es gibt viele Gesundheitsforen, in denen sich Patienten selbstbestimmt austauschen und sich die verschiedensten Tipps geben, ohne dass das wirklich überprüft wird. Ihr wurde bewusst, wie wichtig ein funktionierendes Meldesystem für Nebenwirkungen ist, damit die Information auch dort ankommt, wo sie wirklich Nutzen stiftet: beim Arzneimittelhersteller, der gesetzlich dazu verpflichtet ist, jede Meldung sorgfältig aufzunehmen, zu bewerten und in begründeten Fällen Fachinformationen aufzunehmen. Damit können schlussendlich auch die behandelnden Ärzte in Zukunft besser einschätzen, welches Medikament für den einzelnen Patienten am verträglichsten ist.

Die Initiative www.nebenwirkungen.de wird von der Bundesregierung und dem europäischen Sozialfonds gefördert und wurde als eines der „EU Top 50 Startups“ ausgezeichnet, weil es ein gesellschaftlich bedeutendes Thema angeht. Die Deutsche Leberhilfe e.V. findet die Initiative ebenfalls sehr sinnvoll, da sie zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit beiträgt und damit auch Patienten direkt zugute kommt (siehe Kommentar).

Wenn Sie Rückfragen oder Anmerkungen zur Initiative www.nebenwirkungen.de haben, können Sie Frau Friderike Bruchmann, Mitgründerin von www.nebenwirkungen.de, per E-Mail unter friderike.bruchmann@nebenwirkungen.de oder telefonisch unter 089/21547481 erreichen.

Pressemeldung der Medikura Digital Health GmbH

 


Nebenwirkungen melden: Kommentar der Deutschen Leberhilfe e.V.

Wir begrüßen, dass es mit www.nebenwirkungen.de nun ein benutzerfreundliches Web-Portal für Patienten gibt, um Nebenwirkungen und unerwünschte Begleiterscheinungen zu melden. Die Deutsche Leberhilfe e.V. ist in dieses Projekt nicht selbst involviert, doch wir betrachten dieses als eine gute und wichtige Sache.

Das Thema Nebenwirkungen begegnet uns regelmäßig in unserer Beratung: entweder weil Patienten bereits Nebenwirkungen erleben oder vor Therapiebeginn Sorge haben, welche Nebenwirkungen potenziell unter der Behandlung auftreten können.

Grundsätzlich gibt es schon länger auch für Patienten die Möglichkeit, Nebenwirkungen zu melden, wie z.B. über ihren Arzt oder online, schriftlich oder telefonisch beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Herstellerfirmen sind gesetzlich verpflichtet, innerhalb von 24 Stunden auf jede Meldung unerwünschter Arzneimittelwirkungen zu reagieren und diese an die Behörden (BfArM und Europäische Arzneimittelagentur EMA) weiterzugeben.

Doch gibt es hier in der Realität bislang viele Hindernisse. Zum einen wissen viele Patienten überhaupt nicht, dass man Nebenwirkungen melden kann, und schrecken davor zurück, selbst aktiv zu werden: Sie befürchten Konflikte mit ihren Ärzten, in eine bürokratische Mühle zu geraten oder sich mit ihrer Erkrankung zu „outen“. Auch die Annahme, dass jegliche Berichterstattung über Nebenwirkungen angeblich von einer übermächtigen Pharmaindustrie verhindert werde, lässt viele Patienten glauben, als Einzelperson ohnehin nichts ausrichten zu können oder gar persönliche Nachteile zu erleiden. Der bürokratische Aufwand schreckt auch manche Ärzte ab, die theoretisch jede Nebenwirkung melden müssten (selbst längst bekannte und eher harmlose Nebenwirkungen), zumal ihnen diese Zeit dann wieder zur Behandlung ihrer Patienten fehlt. Immer wieder hört die Leberhilfe von Patienten am Telefon, dass auch Ärzte daher in sehr unterschiedlichem Maße gewillt sind, Nebenwirkungen zu melden.

Nebenwirkung oder Zufall? Im Zweifelsfall lieber melden

Oft verwenden Ärzte auch den Begriff „unerwünschte Ereignisse“ (englisch „adverse event“). Dieser Begriff ist weiter gefasst. Dazu gehören nicht nur direkte und eindeutige Neben- und Wechselwirkungen eines Medikaments, sondern auch weitere Ereignisse wie z.B. zufällige Infektionen oder Unfälle.

Häufig ist die Situation so eindeutig, dass man recht  sicher von einer Nebenwirkung ausgehen kann: „Ich habe diese Nebenwirkung kurz nach der Einnahme bekommen und diese steht auch im Beipackzettel.“ Manchmal ist es auch erkennbar keine Nebenwirkung: „Jetzt habe ich während der Therapie auch noch eine Erkältung bekommen, was für ein blöder Zufall.“ In einigen Fällen ist es aber nicht so eindeutig: „Ich nehme dieses Mittel seit ein paar Monaten und habe jetzt zum ersten Mal Symptom Y – aber im Beipackzettel steht nichts dazu…“

Gerade hier ist es besonders wichtig nachzuforschen: Vielleicht haben Sie eine neue, noch unbekannte Neben- oder Wechselwirkung! Vielleicht gibt es auch weitere Patienten, die das gleiche Problem wie Sie haben – und sich ebenfalls wundern, dass dazu nichts im Beipackzettel steht. Wenn aber alle Patienten ihr Problem für sich behalten, ändert sich nichts.

Sie können aktiv etwas tun, indem Sie eine Meldung machen – auch wenn Sie nicht sicher sind, ob Ihre Beschwerden eine Nebenwirkung oder ein Zufall sind. Je mehr Hintergrundinformationen Sie zu Ihren Beschwerden liefern können (welche Symptome, ab wann, nehmen Sie noch weitere Medikamente, gibt es weitere Begleit­erkrankungen?), desto leichter machen Sie es den Fachleuten, Nebenwirkungen zu überprüfen. Wenn sich solche Meldungen bestätigen (und erst recht, wenn sich ähnliche Meldungen häufen), kann es sein, dass auch der Beipackzettel eines Medikamentes künftig ergänzt wird – oder dass eine vermeintlich „seltene“ Nebenwirkung dort in Zukunft als „häufig“ gelistet wird. Mit Ihrer Meldung helfen Sie auch anderen.

Auf der Webseite www.nebenwirkungen.de können Sie auch nachsehen, welche unerwünschten Ereignisse von anderen Patienten gemeldet wurden und wie häufig dies bisher war. Die Webseite führt dabei auch Meldungen auf, die in den vergangenen Jahrzehnten beim BfArM eingegangen sind. Hier ein wichtiger Hinweis: Selbst vor Jahren offi­ziell gemeldete „Nebenwirkungen“ sind zum Teil chaotisch und fehlerhaft. Einige dieser Fehler fallen nun erstmals auf: Zum Beispiel wurden bei einigen Hepatitis-C-Medikamenten noch das Therapieversagen oder die Grunderkrankung Hepatitis C als „Nebenwirkung“ genannt, was keinen Sinn ergibt (Therapieversagen ist keine Nebenwirkung und  natürlich kann man keine Hepatitis C durch Hepatitis-C-Medikamente bekommen). Das neue Por­tal bietet die Gelegenheit, solche fehlerhaften Einträge zu bereinigen, was derzeit bereits geschieht. Hier können Sie ebenfalls mithelfen, selbst wenn Sie gerade nicht an Nebenwirkungen leiden: Wenn Ihnen auf der Webseite Fehler oder Verbesserungsmöglichkeiten auffallen, weisen Sie die Betreiber der Webseite bitte darauf hin.

Wir wünschen der Webseite  viel Erfolg. Die Webseite bietet die Chance, den Umgang mit Nebenwirkungen und Zugang zu seriösen Informationen demokratischer zu machen: Jeder hat die Möglichkeit, unerwünschte Therapieereignisse auf einfachem Wege zu melden und trotzdem seine Identität zu schützen. Und im Gegensatz zu anonymen Internetforen, wo viele falsche und ungeprüfte Informationen kursieren, werden Meldun­gen über diese Webseite von Fachleuten überprüft.

Ingo van Thiel
Redaktion
Deutsche Leberhilfe e.V.

 

Editiert am 8.10.2018: Der Link nebenwirkungen.eu wurde mittlerweile in nebenwirkungen.de geändert.

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